Rezidivangst und Heilungsbewährung

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Wer eine Krebserkrankung (so weit) hinter sich gebracht hat und rückfallfrei geblieben ist, dem bleibt in aller Regel mehr oder weniger Angst, dass der Krebs zurückkommen könnte (Rezidivangst). Nach einer gewissen Zeit der Rückfallfreiheit wird das Versorgungsamt von einer Heilungsbewährung ausgehen und an Sie herantreten, um den GdB abzusenken.
Dabei bedeutet die „Heilungsbewährung“ nach Krebserkrankung nicht primär, dass nicht auch dann, wenn kein Rückfall aufgetreten ist, keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die bisherige abstrakte Bewertung von unterstellten physischen und psychischen Auswirkungen der Erkrankung nicht mehr gerechtfertigt ist und eine Neufeststellung des GdB erforderlich wird. Sehen Sie hierzu die Beiträge hier und hier.
Was, wenn der Betroffene nun wegen einer nicht ausgeschlossenen und / oder erhöhten Rezidivgefahr Rezidivangst verspürt? Dann ändert sich an dem Gesagten nichts. Es sei denn, die Rezidivangst geht über das „normale Maß“ hinaus und entwickelt eigenen Krankheitscharakter im Sinne einer psychischen Gesundheitsstörung.

Stellt Rezidivangst eigene, relevante Gesundheitsstörung dar?

Das LSG Niedersachsen Bremen führt in einem Urteil vom 21.07.2015 – L 13 SB 122/14 – wie folgt aus:

„Derartige Fälle sind vielmehr über die Frage zu lösen, ob die seelische Störung aufgrund der Rezidivangst im Einzelfall noch den Charakter einer für die Bildung des Gesamt-GdB relevanten psychischen Gesundheitsstörung hat (…)
Zu erwägen ist insoweit auch, dass auch bei womöglich objektiv unverändertem Rezidivrisiko das Ausmaß der psychischen Beeinträchtigung nachlassen kann; der Eintritt der Heilungsbewährung bedeutet nicht in erster Linie, dass nach rückfallfreiem Zeitablauf keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht, sondern insbesondere, dass die bisherige abstrakte Bewertung der unterstellten körperlichen und seelischen Auswirkungen der Erkrankung nicht mehr gerechtfertigt ist und die Neufeststellung des GdB notwendig wird (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 14. November 2013 – L 10 SB 166/12 -, juris Rn. 20). Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch im Regelfall eine Rezidivgefahr nach Ablauf der statistisch begründeten Heilungsbewährungszeit ja nicht grundsätzlich völlig entfällt und zudem individuell variieren kann. Schließlich ist festzustellen, dass allein für eine genetische Disposition für bestimmte Krebserkrankungen die Vergabe eines GdB grundsätzlich nicht vorgesehen ist. So ist in Teil A, Nr. 2 h) Satz 1 VMG auch ausdrücklich festgelegt, dass Gesundheitsstörungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, bei der Bemessung des GdB außer Betracht zu bleiben haben (…).
Die Heilungsbewährung erfasst neben dem Aspekt der Rezidivgefahr auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind. Dies rechtfertigt es nach sozialmedizinischer Erfahrung, unter Berücksichtigung der Krebserkrankung für eine Übergangszeit – den Zeitraum der Heilungsbewährung – einen GdB von mindestens 50 anzunehmen und Krebskranken damit unterschiedslos zunächst den Schwerbehindertenstatus zuzubilligen (BSG, Urteil vom 9. August 1995 – a.a.O. – juris Rn. 13). Nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit entfällt dieses Privileg unterschiedslos und es ist auf den konkret feststellbaren Gesundheitszustand abzustellen, wie dies bei anderen Antragstellern auch der Fall ist.
So ist das SG Bremen auch zutreffend vorgegangen. Kommt eine Verlängerung der Heilungsbewährung demnach auch bei festgestellter Erbkrankheit „HNPCC“ und deren erwiesenen medizinischen Auswirkungen nicht in Betracht, so hat das SG Bremen im angefochtenen Gerichtsbescheid vom 16. Oktober 2014 in nicht zu beanstandender Weise die Einzelfallsituation der psychischen Auswirkungen in Anwendung von Teil B, Ziffer 3.7 VMG gewürdigt. (…) Auf der Grundlage der dortigen Feststellungen ist die verbliebene Rezidivangst als leichtere psychische Störung mit einem Einzel-GdB von 20 ausreichend bewertet und bei Gesamtwürdigung des Gesundheitszustandes der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides ergibt sich insoweit – vom SG im angefochtenen Gerichtsbescheid überzeugend dargelegt – ein verbleibender GdB von 40.“